Warum die Anlagenbuchhaltung kein zuverlässiges Instrument für die Ermittlung von Versicherungswerten ist

20. März 2023 von P. Merker

Viele Unternehmen übernehmen die Werte der Anlagenbuchhaltung eins zu eins für die betriebliche Sachversicherung. Jedoch ist der Anlagenspiegel kein Versicherungsspiegel. Beide Instrumente dienen unterschiedlichen betrieblichen Zwecken.

So verwundert es nicht, dass die ungeprüfte Übernahme der Anlagenbuchhaltung zu falschen Versicherungssummen führt. Die Folgen sind Unterversicherung oder zu hohe Versicherungsprämien.

Achtung! Viele Versicherer schränken einen Unterversicherungsverzicht ein, wenn der Versicherungswert allein auf Basis der Anlagenbuchhaltung ermittelt wird, und zwar auf die dort verzeichneten Gegenstände.

Wir möchten aufzeigen, wo die Fallstricke liegen und wie es besser geht.

1. Was ist die Aufgabe der Anlagenbuchhaltung?

Eine Anlagenbuchhaltung ist in nahezu jedem Unternehmen zu finden: Entweder, weil der Gesetzgeber es so will oder der Unternehmer oder gar beide.

Die Anlagenbuchhaltung erfasst die steuer- und handelsrechtlichen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten des Anlagevermögens und dokumentiert Abschreibungen, Zuschreibungen und Restwerte der einzelnen Anlagen. Anhand der Anlagenbuchhaltung wird der Anlagenspiegel (auch Anlagengitter genannt) erstellt, welcher von Unternehmen als Anhang zum Jahresabschluss veröffentlicht wird.

Das heißt, für die Anlagenbuchhaltung gelten die Regeln des Handelsrechts und des Steuerrechts. Diese Gesetze bestimmen, mit welchen Werten das Anlagevermögen anzusetzen ist und wie Veränderungen erfasst werden.

Allerdings gelten diese Regeln nicht für die betriebliche Sachversicherung.

Merke: Die Anlagenbuchhaltung ist für die Steuer und fürs Handelsrecht gemacht, nicht für die Versicherung! Für Versicherungszwecke muss diese daher zwingend angepasst werden.

2. Was hingegen ist die Aufgabe der Versicherungswertermittlung?

Bei der Ermittlung des Versicherungswertes dagegen geht es um die Frage, welcher Betrag im Versicherungsfall aufzuwenden wäre, um die versicherte Sache wieder neuwertig zu beschaffen. Es geht also um Wiederbeschaffungswerte, Wiederherstellungskosten und Neuwerte.

Die Definition des Versicherungswertes ist im Versicherungsvertragsgesetz (§ 88) festgelegt.

3. Was sind die Fallstricke bei der Verwendung der Anlagenbuchhaltung zur Versicherungswertermittlung?

Es gibt grundsätzlich zwei Problemkreise, die es zu umschiffen gilt:

  1. Nicht alles, was in der Anlagenbuchhaltung erfasst wird, ist automatisch Teil der Sachversicherung. Gleichzeitig sind nicht alle Sachanlagen, die versichert werden sollen, in der Anlagenbuchhaltung erfasst.
  2. Oft können die Wertansätze, die in der Anlagenbuchhaltung aufgeführt werden, nicht für die Versicherung verwendet werden.
Der Anlagenspiegel ist kein Versicherungsspiegel: Wer allein auf die Anlagenbuchhaltung vertraut, um Versicherungswerte zu ermitteln, riskiert Unterversicherung und zu hohe Prämien.

Der Anlagenspiegel ist kein Versicherungsspiegel: Wer allein auf die Anlagenbuchhaltung vertraut, um Versicherungswerte zu ermitteln, riskiert Unterversicherung und zu hohe Prämien.

Es leuchtet unmittelbar ein, zunächst Problemkreis 1 zu klären, bevor man sich mit den Wertansätzen auseinandersetzt.

Im Folgenden sind einige Beispiele aufgeführt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), die das Problem verdeutlichen sollen.

a) Abgrenzung zwischen Gebäude und Betriebsvorrichtung

Zunächst ist es wichtig, versicherungstechnisch zwischen Gebäude und Betriebseinrichtung zu unterscheiden. Wir haben das Thema bereits ausführlich behandelt, und zwar hier: „Gebäude oder Betriebsvorrichtung – Das ist hier die Frage“. Daher werden wir nicht weiter darauf eingehen, wo genau die Grenze zu ziehen ist.

Wir möchten jedoch begründen, warum die Abgrenzung trotz des üblichen Summenausgleichs wichtig ist:

Aufgrund unterschiedlicher Preisentwicklungen – insbesondere in der heutigen Zeit ein sehr relevantes Thema – ändern sich die Neuwerte bzw. Wiederherstellungskosten für Gebäude und Einrichtungen sehr unterschiedlich. Wenn bei der Berechnung mit Wertzuschlägen bzw. Indizes gearbeitet wird – insbesondere, wenn pauschale Anpassungsfaktoren verwendet werden – kann eine falsche Zuordnung zu falschen Versicherungssummen führen.

Wegen der großen Relevanz haben wir dem Thema “Wertzuschläge in der industriellen Sachversicherung” auch einen eigenen Beitrag gewidmet. Dort zeigen wir, wie man diese richtig ermittelt und anwendet.

b) Abgrenzung innerhalb der Betriebseinrichtung

Mit einer sauberen – versicherungstechnischen – Abgrenzung zwischen Gebäude und Einrichtung ist die Arbeit aber nicht erledigt. Auch innerhalb der technischen und kaufmännischen Einrichtungen muss analysiert werden,

  • ob bestimmte Reparaturmaterialien, Ersatzteile, Werkzeuge und Fertigungsvorrichtungen, die steuerlich Umlaufvermögen sind, für die Versicherung den Einrichtungen zugerechnet sind;
  • ob Prototypen, Modelle, Muster, Ausstellungsstücke etc., die im Anlagevermögen verbucht sind, versicherungstechnisch eliminiert werden sollten;
  • wie Software erfasst wurde: Im immateriellen Anlagevermögen oder bei den Einrichtungen. Software, die integraler Bestandteil einer technischen Anlage ist, muss versicherungstechnisch ebenfalls der Einrichtung zugerechnet werden.

Auch Fahrzeuge mit Straßenzulassung sind betriebliches Anlagevermögen, werden aber üblicherweise über die KfZ-Versicherung abgedeckt – im Gegensatz zu Fahrzeugen, die keine Straßenzulassung haben.

Ähnliches gilt für elektronische Geräte, die über eine spezielle Elektronikversicherung abgedeckt werden.

c) Fremdes Eigentum

Im Anlagevermögen eines Unternehmens wird grundsätzlich nur das Eigentum des Unternehmens erfasst. Ausnahmen können zum Beispiel Güter sein, die unter Eigentumsvorbehalt des Verkäufers erworben wurden oder geleaste Anlagen.

Daher muss mit Blick auf die Versicherungsvereinbarungen geprüft werden, ob fremdes Eigentum mitversichert ist. Wenn ja, ist es selbstverständlich in die Versicherungssumme aufzunehmen.

Bei geleasten Gegenständen hängt die Bilanzierung davon ab, was im Leasingvertrag vereinbart wurde. Versicherungstechnisch sind jedoch die Vereinbarungen mit dem Versicherer ausschlaggebend, daher reicht es nicht aus, allein auf die Anlagenbuchhaltung zu vertrauen.

Es ist wichtig, die Details des Leasingvertrags und die Versicherungsbedingungen abzugleichen, um alle versicherten Sachen vollständig zu erfassen – unabhängig vom juristischen Eigentum.

d) Abgängige Wirtschaftsgüter

Ganz ehrlich: Wir haben noch keine, wirklich keine, Anlagenbuchhaltung gesehen, in der nicht irgendeine Anlage verzeichnet war, von der keiner mehr sagen konnte, wo sie eigentlich steht!

Das heißt, in der Anlagenbuchhaltung finden sich regelmäßig Anlagegüter, die es gar nicht mehr gibt und die dementsprechend auch nicht versichert werden müssen.

Ein zweiter Fehler der oft begangen wird besteht darin, abgängige Anlagen mit den Buchwerten des Anlagenspiegels aus der Versicherungssumme herauszunehmen. Richtig wäre es jedoch, die Abgänge ebenfalls mit den Neuwerten herauszuziehen.

Die falsche Bewertung der Abgänge ist in der Praxis oft Ursache für Überdeckung und damit für zu hohe Prämien!

e) Gebäude und Anlagen, die vor 1977 angeschafft oder hergestellt wurden

Gebäude, die vor 1977 angeschafft oder hergestellt wurden, könnten in der Anlagenbuchhaltung mit ihren damaligen Buchwerten als Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten erfasst sein. Das resultiert sich aus dem Bilanzrichtliniengesetz, dass erst seit 1987 die Erfassung der Anschaffungskosten bzw. Herstellungskosten im Anlagenspiegel vorschreibt. In vielen Fällen waren diese bei der Erstanwendung aber nur noch für die vergangenen 10 Jahre (also bis 1977) verfügbar. Daher gestattete das Gesetz, auch Buchwerte zugrunde zu legen.

Das gilt auch für die Betriebseinrichtungen. Nur werden wir heute kaum noch auf Betriebseinrichtungen stoßen, die fast 50 Jahre alt sind, während 50 Jahre für Gebäude kein ungewöhnliches Alter ist.

f) Ausnahmeregelungen für die steuerliche und handelsrechtliche Buchhaltung

Das Handels- und Steuerrecht schreibt grundsätzlich vor, dass alle Vermögensgegenstände einzeln und vollständig erfasst und bewertet werden müssen. Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa in Form von Gruppenbewertungen, für die geringwertigen Wirtschaftsgüter (GWG) oder in Form der Bildung eines Festwertes.

Werden zum Beispiel die GWGs als Betriebsausgaben erfasst, tauchen diese in der Anlagenbuchhaltung gar nicht erst auf.

Bei Gruppen- und Festwerten wird das Prinzip durchbrochen, immer die tatsächlichen, individuellen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten auszuweisen.

Das heißt, wir können bei diesen Posten weder auf die Vollständigkeit noch auf die Anschaffungswerte vertrauen.

Bei der Ermittlung der Versicherungswerte ist daher immer zu schauen, welche Bedeutung diese Güter im Unternehmen haben und wie sie erfasst wurden.

Da es sich meist um Posten von untergeordneter Bedeutung handelt, sollte man pragmatisch vorgehen und dennoch bedenken, dass auch Kleinvieh Mist macht.

g) Nachträgliche Herstellungskosten oder Anschaffungskosten

Wenn bereits vorhandene Anlagen nachträglich ausgebaut, umgebaut oder erweitert werden, müssen die dafür anfallenden Kosten aktiviert und den ursprünglichen Anschaffungs-bzw. Herstellungskosten hinzugerechnet werden.

In diesem sehr praxisrelevantem Fall werden die nachträglichen Kosten also mit falschen Anschaffungsjahren erfasst. Wenn man nun auf Neuwerte hochrechnet, um die Versicherungswerte zu ermitteln, erhält man systematisch falsche Versicherungssummen.

h) Gebrauchte Maschinen, Anlagen und Einrichtungen

Eine häufige Herausforderung bei der Ermittlung von Versicherungswerten mittels Anlagenbuchhaltung sind gebrauchte Maschinen, Anlagen und Einrichtungen, die auf dem Zweitmarkt oder aus Insolvenzen gekauft wurden. Bei diesen Anlagen ist dann der aufgewendete Gebrauchtmarktpreis im Anlagenspiegel zu finden – der naturgemäß kein Neupreis ist.

Die Verwendung von Gebrauchtmarktpreisen für die Ermittlung von Versicherungswerten ist in der Regel jedoch nicht geeignet, denn im Schadensfall wird es selten gelingen, kurzfristig eine vergleichbare Maschine erneut gebraucht zu erwerben.

Es gibt allerdings Ausnahmen:

Wenn Sie im Rahmen der Versicherungswertermittlung nachweisen und dokumentieren, dass der Gebrauchtmarkt jederzeit ein passendes Angebot für die Maschine bereithält. So oder so ist gerade bei Gebrauchtmaschinen ein sehr kritischer Blick auf die Werte in der Anlagenbuchhaltung notwendig.

i) Preisnachlässe und Überpreise

Die gleiche Problematik ergibt sich, wenn Sie besonders gute Rabatte aushandeln konnten oder ein “Messeschnäppchen” gemacht haben. Auch in diesen Fällen sind die erfassten Anschaffungskosten zu gering für Versicherungszwecke. Auch Zuschüsse und Investitionskostenzulagen mindern üblicherweise die buchhalterisch zu erfassenden Anschaffungskosten. Diese können daher für die Versicherungssumme nicht ohne weiteres übernommen werden.

Im Übrigen gilt das Gleiche mit umgekehrtem Vorzeichen, wenn Überpreise bezahlt wurden, etwa weil eine Maschine besonders schnell geliefert werden musste. In diesem Fall sind die Anschaffungskosten möglicherweise zu hoch für Versicherungszwecke.

Es ist also wichtig, die tatsächlich gezahlten Preise zu überprüfen und anzupassen.

j) In Eigenleistung hergestellte Maschinen und Anlagen

Bei Maschinen und Anlagen, die in Eigenleistung hergestellt wurden, bleiben in der Regel der Unternehmergewinn und die eigene Arbeitsleistung bei der Aktivierung außen vor. Das führt jedoch dazu, dass die erfassten Anschaffungskosten zu niedrig sind, wenn es um die Bestimmung der versicherungsrelevanten Wiederbeschaffungswerte geht, die von Fremdleistungen ausgehen und somit auch diese Kosten enthalten.

k) Sonstige Geschäftsvorfälle

Es gibt noch weitere Umstände, auf die man achten muss, die jedoch in der Praxis insbesondere für die Betriebseinrichtungen wegen der kürzeren Nutzungsdauern eher selten auftreten. Hierzu zählen stille Reserven, aufgelöste Rücklagen, Betriebe aus der ehemaligen DDR, Einheitswerte von 1959 oder früher sowie Änderungen beim Vorsteuerabzug und der Mehrwertsteuer.

Dennoch sind wir in der Praxis oft überrascht, wie langlebig Maschinen und Anlagen sein können und was für alte “Schätzchen” sich in den Produktionshallen finden.

Sie sehen, es ist äußerst unwahrscheinlich, dass alle Unschärfen und Fehler gegenseitig zur richtigen Versicherungssumme aufheben. In diesem Fall sollten Sie Lotto spielen – denn die Sterne stehe gerade günstig für Sie …

4. Welche Methoden sind besser geeignet, um die Versicherungswerte zu ermitteln?

Der sicherste Weg, um korrekte Versicherungswerte zu erhalten, ist die Erstellung und Pflege eines separaten „Versicherungsspiegels“.

Der Goldstandard besteht darin, in einem ersten Schritt eine umfassende Versicherungsinventur durchzuführen, um alle Maschinen, Anlagen, Gebäude und kaufmännischen Betriebseinrichtungen vor Ort aufzunehmen.

In einem zweiten Schritt wird der Neuwert jeder Anlage unabhängig von den in der Anlagenbuchhaltung aufgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten ermittelt. Auf dieser Grundlage können die jeweiligen Wertzuschläge zum Basisjahr abgeleitet werden. Mit diesem Versicherungsspiegel können die Versicherungswerte in den folgenden Jahren mit hoher Genauigkeit und geringem Aufwand aktualisiert werden.

Da eine vollständige Bestandsaufnahme vor Ort aus wirtschaftlichen und zeitlichen Gründen nicht immer der beste Weg ist, bietet die Anlagenbuchhaltung oft einen guten ersten Überblick über Größe, Struktur, Alter und Wert des Maschinenparks.

Basierend auf der Anlagenbuchhaltung und Erfahrungswissen können wir entscheiden, welche Elemente vor Ort aufgenommen werden müssen und welche nicht. Gleiches gilt für die Bewertungsmethoden, die individuelle Neubewertungen, Übernahme von Werten aus der Anlagenbuchhaltung mittels individueller Indizes, Schätzwerte oder andere Ansätze umfassen können.

5. Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine verlässliche Versicherungswertermittlung auf Basis der Anlagenbuchhaltung möglich ist, wenn man die Fallstricke kennt und sorgfältig vorgeht.

Sobald man einen Versicherungsspiegel erstellt hat, ist es einfach, diesen in den folgenden Jahren fortzuführen, indem man

  • die Zu- und Abgänge richtig erfasst,
  • individuellen Wertzuschläge ermittelt und anwendet,
  • und gegebenenfalls Zeitwerte berücksichtigt.

Wie lange kann man “fortschreiben”?

Das hängt zum einen von der Investitionsstrategie ab und zum anderen davon, wie sorgfältig die Versicherungswerte gepflegt werden. In der Regel sind fünf bis zehn Jahre realistisch.

Das ist ein bisschen wie beim Zahnarzt: Mit guter Pflege hält es länger, Nachlässigkeit beim Putzen wird teuer.

Klingt gut? Rufen Sie uns an, wir beraten Sie gern!

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Philip Merker Sachverständiger für Maschinenbewertungen

Philip Merker, MBA

Zertifizierter Sachverständiger für die Bewertung von Maschinen und technischen Anlagen (DIN EN ISO / IEC 17024)

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